10a besucht Gedenkfeier der Rheinhessen-Fachklinik

Gedenken am Mahnmal für die Opfer der NS-Psychiatrie in der Rheinhessenfachklinik Alzey (Bild: Dr. Helmut Schmahl)

Fast 450 Namen sind es, eng aneinandergereiht auf der grauen Steintafel, und hinter jedem von ihnen steckt eine eigene, grausame Geschichte – Die Rede ist vom “Euthanasie”-Mahnmal auf dem Gelände der Rheinhessen-Fachklinik. Nahezu unscheinbar steht es dort neben der Kapelle, doch am vergangenen Freitag, dem 26.01.18, sind
Angehörige, Politiker, Klinikangestellte, Schüler und Pfarrer an diesem Ort zusammengekommen, um den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken.

Die 450 Namen erinnern an psychisch Kranke und Behinderte, die in der damaligen Heilund Pflegeanstalt untergebracht waren, bis die Nazis beschlossen, dass diese Menschen “zu teuer” waren und ihre Betten für Kriegsverletzte gebraucht wurden. Die Propaganda-Plakate verkündeten, dass “jeder Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit 60.000 Mark” koste, und doch wussten die wenigsten, was hinter den Türen der Nervenanstalten vor sich ging: Allein hier in der Umgebung wurden mehr als 1000 Männer, Frauen und Kinder im Rahmen des “Euthanasie”-Programmes auf grausame Art misshandelt und ermordet, ihre Angehörige allerdings belog man über die Todesursache.

Eben jene Schicksale aufzuarbeiten, das hat sich die Arbeitsgruppe “Psychiatrie im Nationalsozialismus in Alzey” in Kooperation mit der RFK und dem ansässigen Museum zur Aufgabe gemacht. In Zusammenarbeit mit der Theater-AG des Kunst- und Aufbaugymnasiums erarbeitete sie die Geschichte dreier Familien, die von der systematischen Vernichtung “lebensunwerten Lebens” betroffen waren. Nach einem kurzen Gedenkgottesdienst und der Kranzniederlegung am Mahnmal machten die Schauspieler und Schauspielerinnen dieses Leid durch einige Szenen greifbar: “Morgen ist der Bub nicht mehr da”, murmelt eine Krankenschwester gedankenverloren, und als die Mutter ihren Sohn Ludwig am nächsten Tag in der Klinik abholen möchte, erfährt sie, dass er schon im Morgengrauen verlegt worden sei. Wohin, das dürfe man ihr leider nicht sagen. Als wenig später ein Brief eintrifft, der ihr mitteilt, dass Ludwig “plötzlich und unerwartet an einer akuten Hirnhautentzündung” gestorben sei, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Lüge über den Tod ihres Sohns zu glauben. Die andern beiden Familien versuchen derweil, ihre Töchter vor der Zwangssterilisation zu bewahren. Einer gelingt es durch Kontakte in die NSDAP, doch sie müssen zahllose Erniedrigungen und Qualen über sich ergehen lassen.

Unter den zahlreichen Besuchern an diesem Freitagmorgen war auch die 10a unserer Schule in der Begleitung von Frau Heinen und Herrn Doktor Schmahl. Während wir anderen Schüler das Thema aus dem Geschichtsunterricht kannten, hat es für Franzi Klein noch einen viel direkteren Bezug: Ihre Großtante wurde aufgrund einer leichten Epilepsie zwangssterilisiert. Gedenkfeiern wie diese sollten öfter stattfinden, meint sie und sagt: “Das Vergangene sollte nicht so einfach in Vergessenheit geraten, vor allem nicht, wenn es um Menschen geht, die ihr Leben opfern mussten, nur weil sie nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen”. Man könne schreckliche Dinge zwar nicht ungeschehen machen, doch ihrer Meinung nach helfe es den Angehörigen zu wissen, dass sie nicht alleine sind.
Auch Gwendolin Leu aus der 10a fand die Veranstaltung sehr angemessen und respektvoll, wobei ihr das Theaterstück besonders gut gefallen hat: “Man konnte sich richtig vorstellen, wie sich die Familien der Opfer früher gefühlt haben müssen”.

Dass die Veranstaltung ausgerechnet vergangenen Freitag war, ist keinesfalls ein Zufall: Nur einen Tag später, am 27.01.18, jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum dreiundsiebzigsten Mal. Als 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog dieses Datum zum Gedenktag für die Opfer des Holocaust erklärte, sagte er, dass die Erinnerung nicht enden dürfe und eine Form dafür gefunden werden müsse, die “in die Zukunft wirkt”, indem sie Trauer über Leid und Verlust ausdrücke, aber auch jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirke.

Mit Blick auf die Gegenwart, in der führende Politiker einer Partei, die von 13% der Deutschen gewählt wurde, eine “180°-Wende in der Erinnerungspolitik” fordert, ist es meiner Meinung nach wichtiger denn je, Diskriminierung und Antisemitismus entgegenzuwirken. Wir wollen die Erinnerung wach halten, vor allem auch daran, wie der Nazi-Terror vor 85 Jahren begann, um mit den heutigen rechtspopulistischen Strömungen nicht in die gleiche Richtung abzurutschen. Denn – um mit den Worten der Päda-Schülerin zu schließen – “Wir vergessen nicht!”

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